Der Anführer der Freien Welt besucht die Freie Universität
Wie beim letzten Mal gesehen, klagte Kennedys Rede vorm Rathaus Schöneberg in bemerkenswert aggressiver Weise die Welt jenseits der Mauern rund um die Insel West-Berlin an. Weit weniger konfrontativ hingegen fiel seine Ansprache an der Freien Universität Berlin (FU) am Nachmittag desselben Tages aus.
Amerikanische Präsidenten an Universitäten
Dass amerikanische Präsidenten gerne an Universitäten sprechen, ist bis heute Tradition. So wurden bereits mehrere richtungsweisende politische Initiativen an Hochschulen verkündet. Hier warben die amerikanischen Staatshäupter um Unterstützung für ihre Visionen oder präsentierten ihre Entschlüsse. Kennedy etwa hielt kurz vor seinem Berlin-Besuch eine große Rede an der American University, die als »Friedensrede« in die Geschichte einging. Sein Nachfolger Lyndon Johnson verkündete in seiner berühmten Ansprache an der Johns Hopkins University im April 1965 seine Vision, Süd-Vietnam mit einer Art New Deal-Politik zu reformieren. Auch heute sprechen Präsidenten gerne zu Studentinnen und Studenten. So schwelt ja bekanntlich seit einigen Wochen der Unmut über eine geplante Rede Barack Obamas Mitte Mai an der katholischen University of Notre Dame. Klerikale Boykottandrohungen und Proteste gegen den Besuch des vermeintlichen Abtreibungsbefürworters Obama tragen bereits die Ingredienzien eines veritablen Skandals in sich.
1963: 15 Jahre Luftbrücke – 15 Jahre FU
Gleichermaßen traditionell wie das Auftreten amerikanischer Präsidenten an Hochschulen war zu dem Zeitpunkt der Ansprache Kennedys an der Freien Universität die enge Verbundenheit der Amerikaner zu dieser Hochschule. Auserkoren zum Symbol westlicher Freiheit im »Schaufenster« West-Berlin wurde die FU bereits seit ihrer Gründung 1948 tatkräftig von amerikanischen Stellen unterstützt. Kennedys Aufenthalt in der geteilten Stadt zelebrierte in den Augen der fröhlichen Studentinnen und Studenten der FU nicht nur das fünfzehnte Jubiläum der Luftbrücke, sondern auch die Gründung ihrer Alma Mater. Diese war nämlich just während der sowjetischen Blockade und damit allen Widrigkeiten zum Trotz gegründet worden. Und obwohl die West-Berliner während der sowjetischen Blockade 1948/49 gewiss andere Sorgen hatten, als Seminare zu besuchen und Referate zu halten, gedieh die FU. An Bord der »Rosinenbomber« wurde sogar Platz gemacht für Bücher für die neue Uni.
Der Ort, an dem Kennedy sprach, war der Vorhof des Henry-Ford-Baus. Wie Name und Aussehen des Baus richtig vermuten lassen – ebenfalls ein amerikanisches Geschenk. In diesem Fall kam das Geld jedoch nicht vom Steuerzahler aus den USA, sondern von der wohltätigen Ford-Stiftung. Diese hatte sich zum Ziel gemacht, Demokratie durch die Förderung von Bildung weltweit zu verbreiten. Welche Universität bot sich dabei besser an, als die »Freie« in West-Berlin?
JFK war bis heute der letzte US-Präsident, der der FU seine Aufwartung machte. Spätere Präsidenten wären wahrscheinlich auch weit weniger freundlich empfangen worden. Ende der sechziger und auch der achtziger Jahre war der Henry-Ford-Bau nicht selten Ausgangspunkt für Protestmärsche aufgebrachter Studierender gegen Amerikas Politik. Ein so artiges Publikum wie Kennedy es damals vorfand, hätte es wohl nicht mehr gegeben.
CJ