Die erste TV-Debatte

Dass die vier TV-Duelle zwischen Kennedy und Nixon für den Ausgang der Wahlen 1960 eine zentrale Rolle spielten, steht unter Experten kaum zur Debatte. Manch einer sieht das erste Aufeinandertreffen am 26. September gar als Wendepunkt im Wettstreit der beiden Kandidaten um die Gunst der amerikanischen Wählerschaft. Das wäre nur folgerichtig, wenn die Wahl wirklich, wie Historiker Andreas Etges vermutet, weniger durch Inhalte entschieden wurde als durch den Kontrast der Persönlichkeiten, oder treffender: die Medialisierung derselben – das Image. Während JFK es vermochte, seinem öffentlichen Vorstellungsbild jugendliche Frische und nationale Aufbruchstimmung einzuhauchen, hatte Nixon stets mit seinem etwas rauhbeinigen, wie er es nannte, »assassin image« (Image eines Attentäters) zu kämpfen.

 

Selbst wenn der Effekt bis zum Wahlabend natürlich wieder verpufft sein konnte, lässt sich mit einiger Treffsicherheit der unmittelbare Eindruck feststellen, welchen die Rededuelle auf das Wahlvolk entfalteten. Sowohl Radiohörer als auch Fernsehzuschauer wurden im Nachhinein befragt, welchen Kandidaten sie denn als »Gewinner« der Konfrontation einschätzten – und besonders der Vergleich ist hier einschlägig: Unter denjenigen, die das Duell nur vertont mitverfolgten, wertete man die Konfrontation vornehmlich als Unentschieden, oder räumte gar Nixon ein Übergewicht ein. Wer allerdings als audiovisuelles Spektakel miterleben durfte, wie nicht nur Kennedy und Nixon selber sprachen, sondern auch Outfits und Gebärden, Kameraposition und Scheinwerferbeleuchtung, der sah gemeinhin JFK auf der Siegerseite. Wie kam dieser Unterschied zu Stande? Sofern wir Inhalt und Ton bei der Beantwortung dieser Frage außen vor lassen, also alles, was Radio- und Fernsehübertragung gemein hatten, verbleibt uns der Hinweis auf die Macht televisueller Bildsprache.

 

An dieser Stelle nur zwei Punkte, erstens: das unterschiedliche Erscheinungsbild der beiden Präsidentschaftskandidaten. Selbst solchen Details wie der Farbe des Hemdes messen die Experten Bedeutung bei – der Gesamteindruck auf der Mattscheibe sei schließlich, so könnte man die Kommentare zusammenfassen, die Summe von Kleinigkeiten. Eingedenk eben dieser Empfindlichkeit seines Publikums für das Kleine aber Feine, sandte Kennedy noch kurz vor Beginn der Übertragung seine Helfer aus, um ihm ein blaues Hemd anstatt des weißen, das er am Leib trug, zu besorgen. Auch Nixon war nicht vor dem hellen Grau der Szenerie gewarnt worden – wie der Zufall es wollte, trug er helles Grau. Nun reagierte er allerdings nicht so gewandt wie sein Widersacher. Das Resultat war ein JFK in gefälligem Kontrast neben einem Nixon, der vor dem Hintergrund der Studioleinwand verschwamm. Des Weiteren machte dem Republikaner sein starker Bartschatten zu Schaffen – den amerikanischen Kommentatoren zufolge ein absolutes No-Go im Präsidentschaftswahlkampf, zumindest der damaligen Zeit. Für seine nächsten Fernsehauftritte würden ihn seine spin doctors mit effektiverem Make-Up ausrüsten, bei Nixons erstem Duell am 26. September allerdings begnügte man sich mit dem Einsatz von Lazy Shave, einem leichten Puder für Männer mit starkem Wuchs am Nachmittag. Der Erfolg war mäßig; es schien viel durch, und das Puder erwies sich zu allem Überfluss als anfällig für Schweiß. Vermutlich mochte kaum jemand von diesen Äußerlichkeiten auf inhaltliche Kompetenz oder Mangel derselben schließen. Vom künftigen Präsidenten, und damit dem personalen Aushängeschild der Nation, erwartete der eine oder andere aber vielleicht ein etwas sorgfältigeres Erscheinungsbild.

 

Zweitens: die (körper-)sprachliche Orientierung. Schon bei seinem Eingangsstatement zeigte Kennedy ein Bewusstsein dafür, dass, was er und Nixon heute Abend skandierten, letztlich nicht für die im Studio Anwesenden gedacht war, die Wahlkampfberater, Journalisten und Fernsehmacher, sondern für die Amerikaner vor den heimischen TV-Sets. Er nutzte, wie der zeitgenössische Kommentator Theodore H. White leicht ironisch bemerkt, jede Frage zu einem Appell an die Nation. Nixon dagegen blieb weitgehend befangen im Raum-Zeit-Kontinuum der Studioaufzeichnung. Das Wissen darum, dass sich hinter den Kameras Millionen von potenziellen Wählern verbargen, vermochte er nicht in einen entsprechenden Auftritt umzumünzen. Die meiste Zeit suchte er den Dialog zu Kennedy und Moderation und deklassierte den Zuschauer zu einem unbeteiligten Beobachter. Für Kennedy bestätigte sich also hier – um so mehr in direkter Gegenüberstellung zu dem eher unpässlichen Nixon – das Image des volksnahen Motivators, eines jungen, unverbrauchten Politikers, der sich der Umbruchsstimmung seiner Zeit nicht verwehren und selbst zu neuen Grenzen aufbrechen will.

 

Für Nixon hingegen lief diese erste Debatte alles andere als geplant. Eigentlich hatte er dem 26. September sehr zuversichtlich entgegengeblickt, wenn nicht gar etwas überheblich: Auf eine intensive Vorbereitung am Tag des Aufeinandertreffens, wie Kennedy sich einer unterzog, verzichtete er. Er erinnerte sich offenbar lebhaft an seine Kampagne von 1952, die ihm sehr positive Erfahrungen mit seiner Medienwirksamkeit beschert hatte. Die direkte TV-Konfrontation zweier Kandidaten erreichte den US-amerikanischen Wahlkampfritus 1960 allerdings als absolute Neuheit. Auch für Nixon öffnete sich hier ein völlig neues Terrain. Die Gewissheit über seine eigene unbedingte Fernsehtauglichkeit erwies sich letztlich als zu vertrauensvoll. Auch wenn für den Verlauf dieser ersten und aller weiteren TV-Debatten des Wahljahres 1960 sowie für die jeweils anschließende Einschätzung der Kandidaten durch die amerikanischen Wähler durchaus Faktoren eine Rolle spielten, die sich dem Einfluss der beiden Kandidaten entzogen, lässt sich feststellen: Kennedy zeigte ein weitaus besseres Verständnis für die Funktionsweise des Mediums Fernsehen. Es mag sein, dass wir nicht so weit gehen und eine einzige Nacht des Wahlkampfes zum »Wendepunkt« erheben wollen. Zumindest müssen wir jedoch in Rechnung stellen, dass 115 Millionen Amerikaner (so White) eine oder mehrere der Debatten im Fernsehen sahen, und somit wohl keine Erklärung des Wahlausgangs ohne die Macht der TV-Inszenierung auskommen kann.

 

BJ