»I have selected as the title of my remarks tonight The President and the Press. Some may suggest that this would be more naturally worded The President Versus the Press. But those are not my
sentiments tonight.«
Durch seine begnadeten Redekünste erhielten viele Reden John F. Kennedys Kultstatus, nicht jedoch jene Worte, die er am 27. April 1961 vor der American Newspaper Association sprach. Diese Rede
befasst sich mit einem Thema, das nicht aktueller sein könnte: die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Was können und sollen die Medien in einer Gesellschaft leisten und ab wann gehen
Grenzen der Berichterstattung in die Einschränkung der Pressefreiheit über?
Für die fehlgeschlagene Invasion der Schweinebucht Anfang April 1961, nur wenige Tage vor besagter Rede, musste Kennedy die volle Verantwortung übernehmen. Vor der Durchführung hatte er eine
Absprache mit der New York Times getroffen, diese sollte so wenig wie möglich über die Pläne abdrucken. Ein Fehler, den Kennedy später bereute. Zu Turner Catledge, einem Editor der Zeitung, sagte
er: »Maybe if you had printed more about the operation you would have saved us from a colossal mistake.«
Im Kontext dieser Erkenntnis ist jene Rede nun zu verstehen. Kennedys Vorgänger, Eisenhower und Truman, hatten während ihrer Regierungszeiten aus taktischen Gründen die Geheimhaltung von
Regierungspapieren vorangetrieben – sehr zum Missfallen der amerikanischen Journalisten. Präsident Kennedy, der ein besonders enges Verhältnis zu Presse und Öffentlichkeit pflegte, brach mit
dieser Tradition und warnte vor den aktuellen Entwicklungen, die seine Vorgänger eingeleitet hatten: »(…) there is very grave danger that an announced need for increased security will be seized
upon by those anxious to expand its meaning to the very limits of official censorship and concealment.«
Vergessen darf man hierbei nicht, dass sich die USA zum damaligen Zeitpunkt im Kalten Krieg befanden. Obwohl es zu keiner direkten physischen Auseinandersetzung zwischen den Blockführerstaaten
kam, wurden Informationen gefiltert, bevor sie an die Öffentlichkeit gingen. Es lag weder im Interesse des Präsidenten noch der Zeitungen, dem Kontrahenten Sowjetunion einen Vorteil im Konflikt
zu verschaffen.
Nichtsdestotrotz verwies John F. Kennedy auf die Pflichten der Presse als wichtiges Instrument zur Meinungsbildung und Aufarbeitung von Geschehnissen:
»And so it is to the printing press – to the recorder of man's deeds, the keeper of his conscience, the courier of his news – that we look for strength and assistance, confident that with
your help man will be what he was born to be: free and independent.«
Kennedys Vision von der wechselseitigen Zusammenarbeit einer Presse, die die Regierungsarbeit kontrolliert und einer Regierung, die auf Kritik der Presse in angemessener Weise reagiert und ihren
Kurs anpasst, sind bis heute in den USA alles andere als Wirklichkeit geworden. Regierungsvertreter werden zunehmend interviewscheu und aus Angst vor nachträglicher Rückverfolgung der IP-Adressen
oder Telefonnummern sinkt auch die Zahl der anonymen Informanten.
Auch um die Pressefreiheit ist es im »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« momentan nicht sehr gut bestellt. Die USA rutschten im Ranking der Reporter ohne Grenzen innerhalb weniger Jahre immer
tiefer – mittlerweile bis auf Platz 49 von 180, hinter Burkina Faso und Botswana. Schuld an dem freien Fall sind Vorfälle wie der USA Patriot Act von 2001 unter George W. Bush und die scharfe
Verfolgung Edward Snowdens. Mit Obama hatten sich nicht nur viele Amerikaner eine Lockerung der harten Gesetzeslage versprochen. Sie mussten jedoch enttäuscht zusehen, wie der Hoffnungsträger mit
dem USA Freedom Act von 2015 dieselbe Politik weiterbetrieb.
Präsident Kennedys Gedanken waren seiner Zeit weit voraus. Heute ist die beschriebene Situation eingetreten: Die USA beschneiden die im ersten Zusatzartikel der Verfassung bereits 1791
festgelegte Pressfreiheit aus Angst vor Terroranschlägen nun auch in Friedenszeiten. Die Presse kann kaum noch an unabhängige Informationen gelangen, viele Projekte und Fehlschläge der Regierung
bleiben so der Öffentlichkeit verborgen. Dabei ist gerade der offene Diskurs in einer Demokratie so wichtig. Die kritische Bewertung von Regierungsarbeit ist eine der Hauptaufgaben der Medien,
denn nur Fehleranalyse und konstruktive Verbesserungsvorschläge können ein System vor der Dogmatisierung bewahren.
Selbstverständlich wird von der Presse ein verantwortungsvoller Umgang mit den Informationen erwartet und eine Berichterstattung, die die Aufklärung der Leser verfolgt.
John F. Kennedy erkannte die Wichtigkeit der gleichwertigen Zusammenarbeit zwischen Staatsorganen und Presse, nachdem er zunächst selbst versucht hatte, Einfluss auf die Berichterstattung zu
nehmen. Eine ähnliche Kurswende unter Obama wäre wünschenswert, damit es auch heute nicht mehr »The President Versus the Press« heißen muss.
Luisa Jabs