Anfang 2008, als noch lange nicht feststeht, wer für die Demokraten als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen darf, meldet sich eine einflussreiche Stimme zu Wort: Caroline Kennedy. Sie verkündet ihre Unterstützung für den demokratischen Senator aus Illinois. Er erinnere sie, wie kein anderer zuvor, an die unvergleichliche Anziehungskraft ihres Vaters und nur ihm traue sie zu, einen tatsächlichen sozialen Wandel in der Gesellschaft anzustoßen. Der Name jenes Kandidaten ist Barack Obama. Dieser Kommentar Caroline Kennedys, deren Familienclan von den Amerikanern gerne als eine Art amerikanischer Adel angesehen wird, für den landesweit noch relativ unbekannten Obama einem Ritterschlag gleich.
Ohne Frage lassen sich Gemeinsamkeiten in der Wirkung der beiden Präsidenten finden. Zu ihrer positiven Wahrnehmung in der Bevölkerung haben ihr junges Alter bei Amtsantritt, ihre Attraktivität und ihre bemerkenswerten rhetorischen Fähigkeiten beigetragen.
Charisma ist der Schlüsselbegriff, der die Anziehung dieser beiden Präsidenten beschreibt. Der Soziologe Max Weber sah im charismatischen Auftreten eine gewissermaßen gottgegebene Fähigkeit, mit der eine Führungsperson ihre Anhängerschaft in ihren Bann ziehen und für große Ideen und gesellschaftliche Umschwünge mobilisieren kann. Im Allgemeinen ist damit eine eng mit der Persönlichkeit verbundene Eigenschaft gemeint; ein Talent, das nur wenige besitzen. Doch die Frage, warum gerade Kennedy und erst etwa 50 Jahre später wieder Obama vermochten, diese Euphorie in der amerikanischen Bevölkerung auszulösen, lässt sich nicht allein mit dieser außergewöhnlichen Ausstrahlungskraft beantworten.
Auch Charisma muss auf der politischen Bühne erst wirkungsvoll eingesetzt werden. Was die Selbstinszenierung durch die Medien anbelangt, waren Obama und Kennedy ihrer Zeit voraus. Kennedy engagierte einst den ersten Cheffotografen für das Weiße Haus, welcher nicht nur ihn, sondern auch seine Familienmitglieder als nahbare, sympathische Amerikaner von nebenan darstellte. Zudem entdeckte er das bis dato als reines Unterhaltungsmedium eingesetzte Fernsehen als politische Plattform mit enorm großer Reichweite. Das erste Wahlkampf-Fernsehduell geht auf eine Idee Kennedys zurück. Obama bewies ebenso ein hervorragendes Gespür für die neuen Medien. Ob über E-Mail oder durch Aktionen auf Facebook oder YouTube, – Obama maximierte seine Reichweite vor allem bei jungen Wählern, indem er 2008 als einziger Kandidat die Macht der sozialen Medien erkannte und für sich zu nutzen wusste.
Auch programmatisch lassen sich eindeutige Parallelen finden. Obama und Kennedy standen für einen umfassenden Wandel des politischen Status-Quos. Historisch gesehen, stießen diese Appelle in der jeweiligen Zeit auf fruchtbaren Boden: Kennedys Rhetorik von Veränderung und Solidarität stellten einen deutlichen Kontrast zu der Politik seines Vorgänger Dwight D. Eisenhower dar, dessen Amtszeit von Stillstand geprägt war. Die drängenden Fragen seiner Zeit, wie die Gleichberechtigung der Afro-Amerikaner, blieben unbeantwortet. Obamas Wahlkampf begann in den letzten eineinhalb ereignislosen Amtsjahren George W. Bushs, dessen Name untrennbar mit den Terroranschlägen vom 11. September und dem verhängnisvollen Irak-Krieg verbunden ist. Eine unbefriedigende und konfliktreiche Zeit. Obama distanzierte sich früh klar vom Irak-Krieg und während der Finanzkrise von 2008, welche als die dramatischste seit dem Börsencrash von 1929 gilt, stellte er Themen der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt. Solidarität und die Verbesserung der ökonomischen Situation von benachteiligten Gruppen waren bei Kennedy und Obama kennzeichnende Themen. Wo Kennedy 1960 sagte »We can do better«, wirkt Obamas Wahlkampfspruch aus dem Jahr 2008 »Yes, we can« fast wie die lange überfällige Bestätigung. Hier lässt sich ein starker Fokus auf eine Verbesserung der Zukunft erkennen; die Wahlkampfslogans fordern die Bürger jedoch auch zur Eigeninitiative auf, welche sowohl Kennedy als auch Obama als unabdingbar für einen politischen Umschwung sahen.
Nicht zu vergessen ist auch die Herkunft dieser beiden Präsidenten, welche entscheidend zu ihrer Wahrnehmung in der Bevölkerung beigetragen hat. Obwohl Kennedy aus einer politisch und ökonomisch höchst erfolgreichen Bostoner Familie stammt, war das Erreichen des Präsidentenamtes für einen irisch-stämmigen, katholischen Amerikaner ein ganz besonderer Durchbruch. Bis dato waren nur Anhänger der sogenannten WASP, der protestantischen, weißen Oberschicht ins Weiße Haus eingezogen. Die Idee des Aufstieges eines Außenseiters, der es trotz Widerstände zu unvergleichlichem Ruhm bringt, ist in der amerikanischen Gesellschaft als »American Dream« tief verankert. Diesen verkörpert Obama sogar noch stärker als Kennedy, da seine Ausgangslage weniger vielversprechend war. Als Kind einer weißen Mutter aus Kansas und eines kenianischen Austauschstudenten, hat sich Obama aus der unteren Mittelschicht bis an die Eliteuniversität Harvard und ins Weiße Haus gearbeitet. Als erster Afro-Amerikaner wird er 2008 zum Präsidenten gewählt und legte damit einen Meilenstein für alle Afro-Amerikaner des Landes. Obwohl der amerikanische Traum mittlerweile vielfach als Mythos bezeichnet und gar für tot erklärt wurde, schaffte es Obama wieder, den Glauben in dieses Idealbild zu festigen und viele Mitbürger zum Streben nach Erfolg und einem besseren Leben zu motivieren.
Beim Vergleich der Wirkung dieser beiden Präsidenten kann man streng genommen allerdings nur auf die Zeit bis zu Obamas Amtsantritt blicken. Denn bei aktuellen Umfragen, welche die Beliebtheit der US-Präsidenten seit 1945 ermitteln, liegt Obama auf Platz acht, wobei Kennedy weiterhin die unangefochtene Nummer Eins ist. Obamas Charisma hat wohl kaum abgenommen, viel entscheidender ist hier der Umstand, dass die Wirkungskraft eines Kandidaten sich deutlich von der eines Präsidenten unterscheidet. Während die ganze Welt zusehen konnte, wie Obamas zukunftsweisende Reformvorschläge am Widerstand des Kongresses scheiterten, bleiben Kennedys Leben und seine politische Amtszeit unvollendet. Nichtsdestotrotz haben sowohl Kennedy als auch Obama weltweit eine ähnliche Euphorie ausgelöst. Der Grund dafür liegt jedoch nicht nur in ihrer besonderen Ausstrahlung, auch gesellschaftliche, historische und biografische Umstände spielten eine entscheidende Rolle. An den Mythos Kennedy wird der mittlerweile stark entzauberte Obama vermutlich dennoch nicht heranreichen. Wie er stattdessen in die Geschichte eingehen wird, bleibt eine spannende, wenn auch offene Frage.
Angelika Reiss